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Christoph Links verabschiedet sich von seinem Verlag

Interview von Cornelia Geißler in der Berliner Zeitung vom 22.12.2020, S. 14

Christoph Links, am 18. Dezember war Ihr letzter Arbeitstag als verlegerischer Geschäftsführer des Ch. Links Verlags, den Sie vor 31 Jahren gegründet hatten. Haben Sie Angst vor der Silvesterfeier?
Ganz im Gegenteil. Es wird ein Start in einen neuen Lebensabschnitt, auf den ich mich sehr freue. Es fällt auch ein gewisser Verantwortungsdruck ab, was mit 66 durchaus willkommen ist. Es müssen nicht immer 60 oder 80 Wochenstunden sein.

Wehmütig sind Sie nicht? Ihr Verlag war einer der ersten, wenn nicht der erste, der in der DDR gegründet wurde, nachdem die Mauer offen und die Zensur abgeschafft worden war. Es war ein historisch bedeutsamer Akt. Eine Ära geht zu Ende.
Man muss das nicht so hoch hängen. Viele von uns sind damals ins kalte Wasser gesprungen und haben neue Dinge ausprobiert. Aus der Rückschau sieht es jetzt ganz ordentlich aus, weil wir in dem gewachsenen Team mit anhaltender Freude gearbeitet haben. Mehr als eintausend hoffentlich interessanter Bücher legen Zeugnis davon ab.

Der Verlag, der Ihren Namen trägt, ist Ende 2018 von der Aufbau-Verlagsgruppe übernommen worden, nachdem Sie keinen Nachfolger für Ihre Position gefunden hatten. Dennoch, auch nach dem Umzug ins Aufbau Haus am Moritzplatz, behielt er sein eigenständiges Programm mit politischen und gesellschaftlichen Sachbüchern. Kann das so weitergehen, wenn Sie weg sind?
Ja, darauf haben wir gezielt hingearbeitet. Die programmatische Selbständigkeit ist uns von den Eigentümern vertraglich zugesichert worden, und unser achtköpfiges Team bleibt dafür auch zusammen. Mit Christof Blome und Jana Fröbel haben wir zwei Programmverantwortliche, die unser Konzept der kritischen Begleitung der Entwicklungen in Ost und West kreativ fortführen werden.

Matthias Koch, einer der Besitzer von Aufbau, deutete im Sommer in einem Interview an, dass Ihr Erbe eines Tages vielleicht einfach „Aufbau Sachbuch“ heißen könnte. Wie haben Sie das gelesen?
Im ersten Moment habe ich gestutzt, aber dann ist mir noch mal bewusst geworden, dass es da ja einen historischen Zusammenhang gibt. Im Herbst 1989 habe ich im Aufbau Verlag als Assistent der Geschäftsleitung gearbeitet und dem damaligen Leiter Elmar Faber das Konzept für ein zeitgeschichtliches Sachbuchprogramm vorgelegt. Darauf erhielt ich die Antwort, dass das staatlich zugeteilte Papierkontingent nicht mal reiche, um Christa Wolf und Christoph Hein ausreichend zu drucken, da wolle man nicht noch mit Sachbüchern anfangen. Daraufhin habe ich trotzig geantwortet: Dann muss ich es eben allein machen. Nun kehrt das Ch.-Links-Sachbuchprogramm zu Aufbau zurück, da man dort gerade in diesem Bereich wachsen will. So schließt sich ein Kreis. Wie der Name in einigen Jahren lauten wird, ist letztlich nebensächlich, auf die kritischen Inhalte kommt es an.

Als wir uns während der ersten Welle der Corona-Pandemie unterhielten, sagten Sie, es bestätige sich leider die Erfahrung, dass Menschen in Krisenzeiten lieber Unterhaltung läsen als Sachbücher. Gegen Ende dieses Jahres sind die Buchverkäufe allgemein noch einmal ordentlich gestiegen. Wie ist Ihre Bilanz im Corona-Jahr?
Vom Umsatz her liegen wir etwa ein Drittel unter dem Vorjahr. Einen solchen Einbruch habe ich in all den Jahren noch nicht erlebt. Aber wir haben sogleich gegengesteuert und hatten auch gute Unterstützung. Da war zunächst die Soforthilfe der Berliner Investitionsbank im Frühjahr, dann kamen die sparsame Phase der mehrmonatigen Kurzarbeit und das Bundesprogramm „Neustart Kultur“, die Kooperation mit den Zentralen für politische Bildung sowie die Liquiditätshilfe durch den Aufbau Verlag. Wir mussten niemanden entlassen und konnten jetzt im Herbst noch mal durchstarten, sodass wir am Jahresende ohne große Verluste dastehen werden.

Sind Ihnen eigentlich viele Manuskripte rund um Covid-19 angeboten worden?
Sachbücher sollen nicht den Journalismus ersetzen, sondern Hintergründe erklären und Zusammenhänge aufdecken. Daher halte ich wenig von Corona-Schnellschüssen zu einem Zeitpunkt, an dem vieles noch Spekulation ist. Wir haben uns daher für keines der angebotenen Manuskripte entschieden.

Aha, es gab also welche. Im neuen Programm kündigen Sie ein Buch an, das heißt „Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“. Deute ich das richtig als Auseinandersetzung mit den sogenannten Querdenkern, den Corona-Leugnern und Impfgegnern? Und wie kommt so ein Titel ins Programm? Kam der Autor auf Sie zu oder entwickeln Sie im Lektorat die Idee und suchen nach dem Autor?
Im konkreten Fall ist das Buch ein Resultat langjähriger bewährter Zusammenarbeit. Vom Autor Andreas Speit haben wir bereits acht Bücher verlegt, die er zumeist mit seiner Koautorin Andrea Röpke erarbeitet hat. Dabei ging es stets um die Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland. Das reicht von militanten Neonazis über die Identitären bis zu den Reichsbürgern und völkischen Siedlern auf dem Lande. Gerade aus dem Umfeld der Letzteren müssen wir uns gerade noch einiger Klagen erwehren. Da lag es nahe, sich auch mal die überraschend vielfältige Szene auf den Querdenker-Demonstrationen näher anzusehen.

Das jüngste Buch des Autorenduos Röpke/Speit „Völkische Landnahme“ hatte Ihnen Auseinandersetzungen vor Gericht beschert und musste für die zweite Auflage verändert werden. Aber schon für das Scientology-Buch von Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck in den 90er-Jahren brauchten Sie Rechtsbeistand. „Über unsere Bücher lässt sich streiten“ hieß das Buch zum zehnjährigen Verlagsjubiläum 1999. Wie viel haben Sie als Verleger über die Justiz gelernt?
In der Woche vor meinem Arbeitsende habe ich alle Unterlagen zu den juristischen Streitfällen der letzten 30 Jahre archiviert und die laufenden Vorgänge an die zuständige Kollegin beim Aufbau Verlag übergeben. Es waren mehr als 50 Akten. Bei diesen Auseinandersetzungen sind mir zwei Dinge deutlich geworden: Kritische Sachbücher brauchen ein extrem gründliches Lektorat mit zusätzlicher juristischer Durchsicht. Ist aber gewissenhaft gearbeitet worden, kommen also keine unbelegten Tatsachenbehauptungen vor, hat man gute Chancen, im Streit zu obsiegen. Die Pressekammern der deutschen Gerichte legen viel Wert auf die Verteidigung der grundgesetzlich verbrieften Meinungsfreiheit und verbieten nicht leichtfertig Bücher. Das ist ein wohltuender Unterschied zur Situation in manch osteuropäischem Land.

Obwohl im Osten gegründet und mit einigen Titeln zum Osten besonders erfolgreich, wie der „Chronik der Wende“, dem Lexikon „Wer war wer in der DDR?“ und dem Text-Bild-Band „Geisterbahnhöfe“, haben Sie gesamtdeutsche und internationale Themen in den Büchern aufgegriffen. Sieht man sich das Gesamtprogramm an, macht der explizit dem Osten gewidmete Anteil höchstens ein Viertel aus. „Er hat den Osten ernst genommen, jenseits von Ostalgie und anders als die Politik“, hieß es in der Begründung, als sie vor genau einem Jahr als erster aus dem Osten zum Verleger des Jahres gewählt worden sind. Fühlen Sie sich als berühmtester Ostler der Buchbranche den West-Kollegen wenigstens gleichberechtigt?
In der Buchbranche gab es von Anfang an viel Fairness. Die Vereinigung der Börsenvereine in Frankfurt am Main und Leipzig verlief ohne die jahrelangen Querelen, wie wir sie aus der Akademie der Künste oder dem Autorenverband PEN kennen. Ich war zehn Jahre Mitglied im Aufsichtsrat der Frankfurter Buchmesse und acht Jahre Vertreter der gesamtdeutschen Kulturwirtschaft im Mittelstandsbeirat des Bundeswirtschaftsministers. Nie hatte ich das Gefühl, dort der Quoten-Ossi zu sein. Wenn man sich konstruktiv mit eigenen Ideen einbringt, wird man auch gehört.

Die 2019/2020 begangenen Jubiläen von Mauerfall und deutscher Vereinigung haben bewirkt, dass erstmals breiter über die Ungerechtigkeit in der Wahrnehmung von Ost und West gesprochen wurde, über die Verteilung von Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik, Bildung. Auf die Kultur trifft das auch zu, wenn man sich Theater-Intendanzen und Literaturpreis-Jurys ansieht. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden oder ist es eigentlich schon zu spät?  
Es ist ein überfälliger Zeitpunkt. Seit Jahren machen wir mit unseren Büchern auf die ungelösten Probleme des Einigungsprozesses aufmerksam, sei es vor 15 Jahren mit dem Sammelband „Am Ziel vorbei“ oder vor zweieinhalb Jahren mit Petra Köppings Streitschrift „Integriert doch erstmal uns“, die sich in kurzer Zeit zum Bestseller entwickelte. Es wird höchste Zeit, dass sich nun auch die breitere Öffentlichkeit der Themen annimmt.

Menschen, die in Rente gehen, werden gewarnt, sie sollten sich rechtzeitig ein Hobby suchen, damit sie dann nicht in ein Loch fallen. Das brauchen Sie nicht, las ich, sondern Sie schreiben endlich wieder selbst ein Buch.
Das Schöne am Verlegerberuf ist ja, dass man sich jedes halbe Jahr mit neuen Fragen beschäftigen darf. Vor 14 Jahren haben wir Bettina von Kleists Band „Wenn der Wecker nicht mehr klingelt – Partner im Ruhestand“ verlegt, wodurch ich frühzeitig auf das Problem aufmerksam gemacht worden bin. Daher werde ich weniger auf der Bank im Park sitzen, sondern mich stärker mit der DDR-Kulturgeschichte beschäftigen und den verschwundenen Verlagen nachspüren.

Das Schicksal der DDR-Verlage, von denen ja nur ein Dutzend die Neunzigerjahre überlebt hatte, war schon Thema Ihrer Dissertation. Wird das eine rein historische Betrachtung oder hoffen Sie, mit dieser Erforschung noch etwas in die Gegenwart retten zu können?
Mich interessiert, warum erfolgreiche Verlage mitunter plötzlich verschwinden und was das für Auswirkungen hat. Die Autoren haben ihre Rechte den Verlagen ja für eine bestimmte Zeit übertragen, damit diese ihre Werke publizieren und ihnen möglichst große Aufmerksamkeit verschaffen. Fällt nun ein Verlag ins Nichts, weil der Eigentümer stirbt und keinerlei Vorsorgeregelung getroffen hat, so sind wichtige Werke mitunter über Jahre blockiert bis alle Erbfragen geregelt sind. Daher habe ich mich in der Historischen Kommission des Börsenvereins immer dafür eingesetzt, Verlagsarchive zu sichern und frühzeitig Festlegungen für die Nachfolge zu treffen.

Sie hatten Ihren Verlag an den Aufbau Verlag verkauft, um ihm auch ohne Sie eine Zukunft zu geben. Schon bei der Entscheidung sprachen wir darüber, dass die dortigen Eigentümer elf Jahre älter sind als Sie, sich also auch selbst um die Zukunft kümmern müssen. Sie deuteten an, dass es eine Stiftung gebe. Können Sie dazu Genaueres sagen?
Die Aufbau Verlage gehören inzwischen mehrheitlich der gemeinnützigen privatrechtlichen Stiftung Kommunikationsaufbau, wie zum 75. Jubiläum des Aufbau Verlages im Sommer öffentlich mitgeteilt wurde. In den dortigen Gremien werde ich ab Januar mitarbeiten, um meine Erfahrungen aus drei Jahrzehnten Verlegertätigkeit einzubringen.

Also werden Sie durch den Umweg der Stiftung ein bisschen Verleger bleiben. Na, dann viel Erfolg bei dem Versuch, im Jahr 2021 weniger zu arbeiten!