Texte

Chronik eines ungeplanten Abganges

Mein Wechsel von der Berliner Zeitung zum Aufbau-Verlag 1986 geschah nicht ganz freiwillig. Es war eine folgenreiche Weichenstellung.
(Beitrag zur Jubiläums-Ausgabe der Berliner Zeitung im Mai 2005)

Am 5. Dezember 1984 werde ich während des Spätdienstes in der Nachrichtenabteilung zum Chefredakteur Dieter Kerschek gerufen. In seinem Dienstzimmer am Ende der vierten Etage des Hochhauses am Alexanderplatz erwarten mich zwei Offiziere der Staatssicherheit. Sie stellen sich nicht mit Namen vor, diese erfahre ich erst zehn Jahre später aus meiner Akte. Es geht um meinen Studienfreund Uwe-Eckart Böttger, der bis vor kurzem Kulturredakteur der CDU-Tageszeitung "Neue Zeit" war, nun aber wegen eines Ausreiseantrages in die Bundesrepublik entlassen worden ist. Ich habe ihm eine Wohnung in unserem Hinterhaus in der Schönhauser Allee besorgt, wir sind seit langem befreundet. Major Pesch aus Mielkes Zentrale und Hauptmann Clemer von der MfS-Bezirksverwaltung Berlin verlangen von mir, daß ich mich von meinem Freund distanziere und dabei mithelfe, ihn zur Zurücknahme seines Antrages zu bewegen. Ich verweigere dies, wie auch die Aufforderung, eine Stellungnahme für sie zu verfassen. Daraufhin schreitet Chefredakteur Kerschek ein und fordert mich als dienstlicher Vorgesetzter auf, für ihn nähere Angaben zu meiner "fragwürdigen" Bekanntschaft zu Papier zu bringen. Ich erhalte fünf Tage Zeit.
Während ich mir sieben umständliche Seiten abquäle, in denen ich deutlich mache, daß es keine Chancen gibt, meinen Freund von seinem Vorhaben abzubringen und man ihn besser ziehen lassen soll, werden die Inoffiziellen Mitarbeiter in der Redaktion nach mir befragt. Wie ich später nachlesen kann, reichen die Einschätzungen von "naiv" bis "arrogant", einige sind sogar recht wohlwollend.
Am 8. März 1985 wird die Stasi nach weiteren Erkundigungen über mich erneut beim Chefredakteur der "Berliner Zeitung" vorstellig. Ein Major der Bezirksverwaltung erklärt ihm, daß "die weitere Entwicklung des L. unter Beachtung der Einschätzungen aus inoffizieller Sicht" zu erfolgen habe. Die Redaktion wird in dieser Personalfrage sozusagen entmündigt. Zugleich informiert er ihn, daß im Rahmen einer Operativen Personenkontrolle gegen mich eine "Post-Überwachung" und eine "Wohnungs-Ermittlung" eingeleitet worden seien.
Mit Datum vom 23. April 1985 schätzt das Ministerium für Staatssicherheit schließlich ein, daß ich mir nur den "Anschein eines progressiven Genossen" gebe, "tatsächlich jedoch Träger revisionistischen Gedankengutes" sei. (Inzwischen hat man meine Verbindungen zum Freundeskreis von Rudolf Bahro ermittelt.) Daher "steht die operative Aufgabenstellung, Links durch geeignete Maßnahmen aus seiner jetzigen Funktion als verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik herauszulösen".
Am 17. Mai 1985 werde ich von der "Kaderredakteurin" Erika Müller zum Chefredakteur begleitet, der mir eröffnet, daß ich zum 1. September des Jahres ins Redaktionssekretariat versetzt werde. Dort sei dringender Personalbedarf. Außerdem beabsichtige die Redaktion, mich ab 1986 zum Promotionsstudium zu delegieren. Allerdings, so das Protokoll: "Wir können nicht versichern, daß Gen. Links nach der Aspirantur 1989 in die Redaktion zurückkommen kann. Darüber müssen erst neue Überlegungen angestellt werden."
Diese Überlegungen habe ich dann selbst angestellt und am 1. Dezember 1989 einen unabhängigen Sachbuchverlag gegründet.