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Deutschlands größte Privatsammlung zum Spanischen Bürgerkrieg

Zu Besuch bei Christof Kugler in Frankfurt am Main

Wie kommt ein Frankfurter Arzt dazu, über 40 Jahre lang weltweit nach Büchern und Dokumenten zum Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 zu suchen und dafür ein eigenes Archiv zu errichten? Was ist daran einzigartig und wie lässt sich diese Sammlung beschreiben?
Wir sitzen in Christof Kuglers dicht gefüllten Archivraum in der Nähe des Frankfurter Südbahnhofs und reden über die Anfänge. Das systematische Sammeln begann 1983, doch der Grundimpuls reicht bis in die Kindheit, konkret ins Jahr 1962, zurück. Damals fuhr Kugler als 7-Jähriger zum ersten Mal mit seinen Eltern nach Spanien in den Urlaub und entdeckte in einer katalonischen Kleinstadt an der Costa Brava Laufgräben und Befestigungsanlagen aus der Bürgerkriegszeit, in dem die Kinder des Ortes spielten. Was war das für ein Krieg, wer kämpfte dort 25 Jahre zuvor gegen wen? Auch bei nachfolgenden Urlauben gab es darauf keine schlüssigen Antworten. In der Franco-Zeit war das Thema tabu und selbst noch nach dem Tod des Diktators 1975 ging die Aufarbeitung nur langsam voran. Zu tief gingen die Gräben durch die Familien, zu viele ungesühnte Verbrechen gab es auf beiden Seiten. Wie sich inzwischen zeigte – jüngst dokumentiert in Hannes Bahrmanns Buch Francos langer Schatten. Diktatur und Demokratie in Spanien (Ch. Links Verlag, 2020) – waren nicht nur die Putschisten gegen die Republikaner rücksichtslos vorgegangen, sondern hatte Stalins langer Arm der politischen »Säuberungen« bis in die linken Gruppierungen auf der iberischen Halbinsel hineingereicht und selbst vor den Internationalen Brigaden, die der legitimen Regierung zur Hilfe geeilt waren, nicht Halt gemacht. Differenzierte Literatur gab es in den 1970er und 80er Jahren so gut wie nicht. In der Bundesrepublik war kaum etwas auf dem Markt, in der DDR erschienen nur geschönte Heldengeschichten, bei denen die inneren politischen Konflikte ausgespart waren.

Wenn man sich also selbst ein Bild machen wollte, gab es nur einen Weg: Man musste an die Originalquellen heran. Das bedeutete, Zeitzeugen zu finden, die authentisch berichten konnten, und Publikationen ausfindig zu machen, die in der Bürgerkriegszeit selbst entstanden sind und vor allem die bibliographische Vorarbeit leisten, um die Sammlung thematisch eingrenzen zu können. Christof Kugler: »In der Solidaritätsarbeit bei Medico International für Lateinamerika traf ich Marie Langer, die im Sanitätsdienst der Internationalen Brigaden tätig war und 1939 über Uruguay nach Argentinien emigrierte, wo sie eine politisch aktive Psychoanalyse aufbaute. Nach dem dortigen Militärputsch musste sie 1974 nach Mexiko gehen und kam Anfang der 1980er Jahre nach Nicaragua. Sie vermittelte mir wichtige Kontakte und gab Hinweise auf damalige Veröffentlichungen.« Die eigentliche Initialzündung fürs Bücher- und Dokumentensammeln war dann 1983 die Frankfurter Poetikvorlesung von Peter Härtling mit dem Titel »Finden und Erfinden. Erzählungen vom Erzählen«, die von Robert Capas berühmtem Foto des fallenden spanischen Soldaten handelte. Härtling erläutert darin, dass man als Künstler zunächst authentisches Material finden müsse, um auf dieser Basis glaubhaft erfinden zu können. Danach dauerte es sicher nochmals 10 Jahre, so Kugler, bis sich das Profil der Sammlung entwickelt hatte, nicht zuletzt auch durch die Wiedervereinigung 1990, welche anhand der Veröffentlichungen aus der DDR die Entwicklung von Texten, Neu- und Wiederauflagen, die künstlerische bzw. literarische und politische „Produktion“ nachverfolgbar machte. Drei Hauptstränge lassen sich abgrenzen: Die Publikationen welche im Rahmen der verlegerischen Tätigkeit der Internationalen Brigaden sowie der Solidaritätsbewegung in Spanien und den Zufluchtsländern des Exils entstanden sind. Die einschlägigen Veröffentlichungen aus der DDR, eng verbunden mit dem Anspruch das „andere Deutschland“ mit Bezug auf den antifaschistischen Gründungsmythos zu legitimieren und damit ein Nationalgefühl zu entwickeln. Der dritte Sammlungsbereich befasst sich mit der Zusammenführung der relevanten Sekundärliteratur und Bibliographien.

In der Folgezeit schrieb Kugler gezielt Antiquare an, wovon einige ihn engagiert unterstützten und ihm Schritt für Schritt eine neue Welt eröffneten. Aus dem Gedächtnis sprudeln die Namen hervor, denen er bis heute dankbar ist: Herbert Meinke, der 2012 viel zu früh verstorbene Berliner Antiquar, Jürgen Lässig, Inhaber des gleichnamigen Antiquariats und Christian Bartsch, Rotes Antiquariat beide aus Berlin, Heiko Schmidt, Antiquariat Prometheus, jetzt in Wilhelmshaven Hansjörg Viesel, Antiquariat Magister Tinius in Falkensee, Frank Albrecht in Schriesheim sowie Rita und Armin Borski vom Antiquariat Der Büchergarten aus Drolsdorf, Annemieke und Gerhard Leyerzapf vom Antiquariaat Die Schmiede in Amsterdam. Besonders hilfreich war ihm der 2008 verstorbene Exilsammler Georg Küster, der ihn als eine Art Mentor in die Feinheiten der Katalogwelt einführte und Zugänge zu Antiquariaten in den USA und England vermittelte.

Einmal in die Szene aufgenommen und als ernstzunehmender Sammler anerkannt, führten die Kontakte nämlich bald über Deutschland hinaus. Schließlich stammten die Interbrigadisten zahlreich auch aus Großbritannien und den USA, wo deren Hinterlassenschaften von den Erben weitergegeben wurden. So folgten Reisen nach London zu dem Antiquar und Publizisten und Herausgeber der „europäischen Ideen“ Andreas W. Mytze, dem englischen Verleger und Antiquar Bookseller Carl Slienger. Beide hatten aufgrund ihrer verlegerischen Tätigkeit noch direkten Zugang zu Exilierten und ehemaligen Interbrigadisten. Dem schlossen sich Reisen zu Antiquariaten entlang der s Ost- und die Westküste der USA an, , herausragend dabei das Antiquariat Bolerium Books in San Francisco, spezialisiert im Themenbereich Arbeiter- und Soziale Bewegungen in den USA.

So entstand Stück für Stück über vier Jahrzehnte per Ankauf und Tausch eine umfangreiche Sammlung, die nicht nur Bücher, Broschüren und Zeitschriften umfasst, sondern auch Erlebnisberichte, Flugblätter, Plakate, Propagandamaterialien und Tarnschriften aus dem Umfeld der Internationalen Brigaden und der europäischen Solidaritätsbewegung enthält. Im Archivraum bilden sie 60 laufende Meter. Dazu zählen unter anderem höchst seltene Publikationen der deutschsprachigen Anarchosyndikalisten in Spanien und die reich bebilderten Tagebücher der verschiedenen Sprachgruppen der Internationalen Brigaden, sämtlich bis 1938 in Spanien erschienen. In dieser Form sicher einmalig in der Sammlung sind die nach 1990 hinzugekommenen vielfältigen Publikationen aus der DDR, darunter auch jenen, die mehrere Zensurgänge durchlaufen mussten und von Auflage zu Auflage in veränderter Form erschienen. Kugler: »Exemplarisch lässt sich das am Umgang mit dem Werk von Alfred Kantorowicz nachvollziehen, der in Spanien gekämpft hatte, nach dem USA-Exil 1946 nach Ostdeutschland ging, Literaturprofessor an der Humboldt-Universität wurde und 1957 aus der DDR floh. Daraufhin wurde er zur Unperson erklärt, und sein Name musste aus allen Büchern getilgt werden. Ein besonders abstoßendes Beispiel findet sich in den zwei Fassungen eines Sammelbands aus dem Jahr 1957 von Max Schroeder, Von hier und heute aus. Kritische Publizistik [sic!], dort wurden während der laufenden Herstellung des Buchs für den Aufbau-Verlag Seiten mit der Erwähnung Kantorowicz ausgetauscht, ohne dass dies im Satz auffiel oder irgendwo als Änderung vermerkt wurde.« Im umgekehrten Fall der erstmalig 1946 in Linz erschienenen Lebensbeschreibung von Sepp Plieseis namens Vom Ebro zum Dachstein erfolgte eine offizielle Bearbeitung durch Julius Mader, der als »Offizier im besonderen Einsatz« für die Staatssicherheit tätig war, für den Deutschen Militärverlag. Unter dem Titel Partisan der Berge (1971) entstand so eine in den 1970er und 80er Jahren mehrfach aufgelegte Erzählung des antifaschistischen Helden mit Vorbildfunktion, erst Spanienkämpfer, dann Widerständler im Salzkammergut, woran sich noch eine siebenteilige DDR-Fernsehserie anschloss.

Verändert hat sich das Sammlungsfeld dann um die Jahrtausendwende mit der Digitalisierung und dem Aufkommen der Handelsplattformen im Internet: Damit kamen Angebote aus der »Alltagsliteratur« auch von Privatpersonen in den Markt. Auf diese Weise konnten nun problemlos ganze Zeitschriftenjahrgänge günstig erworben werden, die Kugler systematisch nach Artikeln über den Bürgerkrieg auswertete und in einer großen Datenbank erfasste. Hierdurch wurde ihm offenbar, wie gerade im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur der Kampf der Interbrigadisten für die vormilitärische Ausbildung und den Wehrkundeunterricht der DDR genutzt wurde, etwa mit den »Hans-Beimler-Wettkämpfen« der Gesellschaft für Sport und Technik oder über die Artur-Becker-Medaille der FDJ. Beide Kommunisten waren in Spanien ums Leben gekommen.

In jüngerer Zeit wuchs die Sammlung noch einmal an. Kugler: »Das Thema hat die ursprünglichen Mediengrenzen gesprengt. Ich habe mich entschieden, auch Filme und Bildmaterial, die sich mit dem Spanischen Bürgerkrieg beschäftigen, in meine Sammlung mit einzubeziehen, zumal, wenn es Aussagen der Beteiligten zum historischen Stoff gibt, wie dies etwa bei der Wiederveröffentlichung des DDR-Partisanenfilms Fünf Patronenhülsen (1960) in den 2000er Jahren als DVD-Beilage in einer Boulevardillustrierten der Fall war.« Auch zeitlich haben sich die Grenzen verschoben. Die Sammlung endet nicht mit dem Bürgerkrieg und auch nicht mit der nachfolgenden Exilzeit, sondern reicht thematisch bis in die Gegenwart, denn noch bis in die jüngste Zeit gibt es Erstveröffentlichungen und neue Memoirenliteratur. Zudem erscheinen erste Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte dieser drei dramatischen Jahre, welche Kugler genauso interessieren: Wann ist wie und von wem über das Geschehene berichtet worden, welche Wellen des öffentlichen Interesses gab es?

Inzwischen sind mehr als 2.500 Titel zusammengekommen und so die größte Privatsammlung zum Spanischen Bürgerkrieg in Deutschland. Sie ist nicht zum Selbstzweck angelegt worden, sondern soll der wissenschaftlichen Aufarbeitung dienen. Materialien aus dem Kugler-Bestand haben bereits Eingang in mehr als 20 Ausstellungen, Bücher, Bildbände und CD/DVD-Begleithefte gefunden. Christof Kugler zieht aus einem der deckenhohen Regale den großformatigen Band von Irme Schaber über die Fotoreporterin Gerda Taro, die zusammen mit ihrem Partner Robert Capa die Gräuel des Spanischen Bürgerkrieges dokumentierte und im Juli 1937 während eines Angriffs der deutschen »Legion Condor« zu Tode kam. Die im Marburger Jonas Verlag 2013 erschienene Biografie ist weitgehend mit Materialien aus Kuglers Archiv illustriert.

Eine gänzlich neue Dimension der Sammlung hat sich in jüngster Zeit ergeben. Um dies zu demonstrieren, führt mich Kugler an seinen Computerarbeitsplatz mit zwei Bildschirmen. Hier zeigt er mir sein neuestes Sammlungsgebiet: digitale Primärquellen. Seit einigen Jahren werden von mehreren spanischen Archiven neben Broschüren und Reihentitel auch Zeitungen aus der Zeit des Bürgerkriegs digitalisiert und freigeschaltet. Dadurch ist es unter anderem möglich geworden, nach verstreuten Beiträgen deutscher Interbrigadisten und Exilanten zu suchen – soweit man die Decknamen und Namenskürzel kennt – und diese systematisch zu sichern, zu erfassen und zusammenzuführen. Kugler: »Wir müssen uns davon lösen, einen Wert nur im Haptischen, im Physikalischen zu sehen. Das Entstehungsumfeld eines Werkes lässt sich nur noch über das digital aufbereitete Medienumfeld erschließen«. Die Einbindung der deutschen Akteure in das kulturelle Leben vor Ort beispielsweise würde erst auf diese Weise wirklich verständlich. Insofern verdiene der aufbereitete digitale Materialfundus mehr Anerkennung. Was früher die Sichtung von Antiquariatskatalogen, die Erstellung einer systematischen Bibliografie und der Erwerb von Publikationen war, sei heute die Erschließung der ständig wachsenden Digitalmengen und die Archivierung wichtiger Digitalisate.

An dieser Stelle wird unser Gespräch beinahe philosophisch, dreht es sich doch um die Frage, wofür man sammelt und wem die Sammlungen dienen können – jenseits der privaten Freude des jeweiligen Besitzers. Kugler verweist darauf, dass es in Deutschland vier oder fünf ausgewiesene Spezialisten zum Thema Spanischer Bürgerkrieg gibt, die viel Material und Wissen akkumuliert haben. Doch was folgt ihnen nach? Wie kann man diesen materiellen und geistigen Reichtum erhalten und der Gesellschaft zugänglich machen? Kugler: »Hier ist Kooperation der entscheidende Punkt. Wenn man mit den Unterlagen keine Karriere mehr machen will, bieten sich ein Austausch und die Erstellung einer gemeinsamen Datenbank geradezu an. Es geht um einen Privatverbund von Spezialisten, die nicht über wissenschaftliche Strukturen, sondern über ein selbst gewähltes Thema miteinander verbunden sind und nicht in Konkurrenz zu einander stehen. Auf diese Weise haben auch private Sammlungen eine Chance, über den Sammler hinaus produktiv weiterzuwirken, unabhängig vom Standort der Originalausgaben.«

Bis es soweit ist, steht aber zunächst noch ein neues Buchprojekt an. Es geht um den »Arbeitersänger« Ernst Busch und seine Zeit bei den Internationalen Brigaden sowie die in Spanien entstandenen Einspielungen seiner Kampflieder. Christof Kugler hat dazu ein Team von Experten zusammengeführt, das aus politik- und musikgeschichtlicher Perspektive die damaligen Ereignisse und ihre spannungsreichen Nachwirkungen in der DDR-Zeit beleuchtet – aus Interesse an der Sache. Es gibt noch keinen Verlag dafür, aber den gemeinsamen Willen, dieses unterbelichtete Kapitel der Kulturgeschichte auf der Grundlage neuen Quellenmaterials genauer zu erhellen. Man darf gespannt sein.